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Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg e.V. und Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.:

Aufruf zum 12. T4- Umzug am 2. Mai 2006
zum Gedenken an die Opfer der NS-Psychiatrie und Konsorten

Der 2. Mai ist der internationale Tag zur Erinnerung an die Verbrechen der NS-Psychiatrie und ihrer Kooperateure und Tag des Widerstandes gegen die Zwangspsychiatrie. Daher gedenken wir auch in Berlin den Opfern des ärztlichen Massenmordes. Dabei starben ab 1939 mit Beginn der sogenannten ‚Aktion T4' in den Gaskammern der Psychiatrien und später durch Giftspritzen und Verhungernlassen bis ins Jahr 1948 hinein ca. 300 000 Menschen. Und ebenfalls erinnern wir an die Opfer der Psychiatrie, die vor 1939 gequält, zwangssterilisiert und ermordet wurden und auch derer, die (bis) heute in den Psychiatrien und auch außerhalb aufgrund einer sogenannten Diagnose gequält, verletzt, entmündigt, verleumdet und ihrer Freiheit beraubt werden. Denn psychiatrische Zwangsbehandlung wird niemals eine Hilfe sein, sondern ist immer ein Verbrechen.

Der Umzug beginnt am 2. Mai 2006 um 14:00h an der Gedenkplatte in der Tiergartenstraße 4 beim Eingang der Philharmonie. Von dort aus geht es nach der feierlichen Kranzniederlegung in Richtung Charité, vor der die Abschlußkundgebung gegen 15:30h stattfinden soll.

Die Wahl des Zielortes Klinikum Charité ist nicht beliebig: Entgegen halbherziger Bemühungen und Versprechungen wird Karl Bonhoeffer offensichtlich weiterhin durch die Charité verehrt und gleichsam wurden die Versprechen von Chefarzt Andreas Heinz gebrochen, das Selbstbestimmungsrecht aktueller Insassen der Charité- Psychiatrie zu gewährleisten.

Karl Bonhoeffer war an der Charité von 1912 bis 1938 als Klinikdirektor tätig, war gleichzeitig Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Universität und wirkte als Gutachter und als Richter am NS- Erbgesundheitsobergericht in Zwangsterilisationsverfahren mit. Auch nach seiner Emeritierung war er gutachterlich und publizistisch tätig und ließ sich darüber hinaus im August 1942 von den Nationalsozialisten zum außerordentlichen Mitglied des wissenschaftlichen Senats des Heeres-Sanitätswesens ernennen. Außerdem war von 1920 bis 1934 Präsident der deutschen Psychiatervereinigung.

Schon 1998 wurde auf eine kleine Anfrage der Grünen vom Berliner Senat bestätigt, daß Karl Bonhoeffer als Richter und Gutachter an mindestens 55 Sterilisationsverfahren verantwortlich mitgewirkt hat, die zumindest zu 26 zwangsweise durchgeführten Verstümmelungen geführt haben (siehe Antwort auf die Kleine Anfrage Nr. 13/3883). Des Weiteren sind Tausende Menschen unter Bonhoeffers Leitung von der Charité aus gemeldet, begutachtet und ein großer Teil von ihnen daraufhin zwangssterilisiert worden. Auch dafür trägt Bonhoeffer die Verantwortung, wie auch der Medizinhistoriker Thomas Beddies - der letztes Jahr bei einer Veranstaltung von der Charité (siehe unten) sogar zu einem Redebeitrag eingeladen worden war - aufzeigt: "Bonhoeffer selbst hat Wert auf die Feststellung gelegt, daß er immer wusste, was in seiner Klinik vor sich ging und auch immer über den Tenor der in seiner Klinik entstandenen Gutachten informiert war" (Beddies, Thomas: Universitätspsychiatrie im dritten Reich. Die Nervenklinik der Charité unter Karl Bonhoeffer und Maximinian de Crinis. In: vom Bruch, Rüdiger (Hg.): Die Berliner Universität in der NS- Zeit. Band II: Fachbereiche und Fakultäten. Franz Steiner Verlag: Stuttgart 2005, S. 60).

Bonhoeffer lehnte die Sterilisierung weder ab, noch wirkte er überzeugend gegen die zwangsweise Vollstreckung, sondern sah sich lediglich verantwortlich für eine aus seiner Sicht ‚psychiatrisch-wissenschaftlich' fundierte Diagnostik als Grundlage für die Sterilisation.

Karl Bonhoeffer ist als ‚missing link' zum Holocaust zu begreifen: Er war Verbindungsstück zwischen der damaligen zeitgenössischen Psychiatrie, welche bis heute Gültigkeit besitzt und den NS-Mordaktionen, da er u.a. mit den Zwangssterilisationen an dem NS-System teilnahm und aufgrund seiner ‚Diagnosen' Menschen für die Mordaktionen vorselektierte. Und auf einer anderen Ebene betrachtet ist Karl Bonhoeffer als geistiger Brandstifter zu identifizieren, da er in seinen Schriften den rassenbiologistischen Jargon der Nationalsozialisten und ihrer Vorläufer benutzte und deren menschenverachtende Ideologie teilte. Beispielsweise sinnierte er über "die Grenze zwischen einer erbbiologisch unbedenklichen Debilität und einem sicher auszumerzenden Schwachsinn" (siehe "Die psychiatrischen Aufgaben bei der Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", Berlin, März 1934). Als zweites Bespiel sei noch seine Studie "Ein Beitrag zur Kenntnis des großstädtischen Bettel- und Vagabondentums" aus dem Jahre 1901 erwähnt, welche die damals und auch heute noch modische Pathologisierung von Armut und abweichendem Verhalten unterstützt und den Vertretern des mörderischen Menschenbildes des ‚lebensunwerten Lebens' zuspielt. In diesem Pamphlet spricht Bonhoeffer von "Minderwertigkeit (...) auf psychischem Gebiet", von "angeborener Schwachsinn" (ebd.) und "angeborenen psychischen Defektzuständen" (Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Band 21. J. Guttentag Verlagsbuchhandlung: Berlin 1901, S. 22). Beddies schlußfolgert wie folgt: "Karl Bonhoeffer hatte wie viele seiner Fachgenossen bereits in den Jahrzehnten vor der Machtergreifung die Therorie der Eugenik, also der Verbesserung der angeborenen Eigenschaften einer Rasse, wie auch ihre praktische Umsetzung im Sinne von Auslese und Ausschluss minderwertigen Erbgutes von der Fortpflanzung als plausibel angesehen und seriös anerkannt. Neben Anstaltsunterbringung, Heiratsverbot, und Schwangerschaftsabbruch wurde grundsätzlich auch die Sterilisation als geeignete Interventionsmöglichkeit gesehen, einer Verschlechterung des kollektiven Erbgutes entgegenzuwirken. Von dieser Grundhaltung rückte Bonhoeffer zeitlebens nicht ab" (Beddies 2005: S.71).

Trotz jahrelanger Proteste gibt es auf dem Campus des Klinikum Charité in Berlin Mitte immer noch einen Bonhoeffer-Weg - der genau vor der psychiatrischen Abteilung verläuft! - und einen Bonhoeffer-Hörsaal. Darüber hinaus halten auch die staatlichen, unternehmerischen und psychiatrischen Verantwortlichen an der Benennung der Haltestellen der U- und S-Bahn Station "Karl- Bonhoeffer-Nervenklinik" und Bezeichnung der Anstalt fest. Am 3. Februar 2005 lud die Klinikum Charité zu einer Veranstaltung "Streitgespräche - Bonhoeffer und die Folgen" ein. Abgesehen von dem Skandal, daß über den Verbrecher Karl Bonhoeffer "kontrovers diskutiert werden" sollte, gab es wie erwähnt auch Redebeiträge, welche die Verbrechen in der Öffentlichkeit klarstellten. Auf der website der Klinikum Charité war nachher zu lesen: "Es steht zur Debatte, so Andreas Heinz, Leiter der Psychiatrischen und Nervenklinik der Klinikum Charité, wie diese Benennungen künftig zu kommentieren sind, sei es durch ein Mahnmal, Ausstellungen oder Informationstafeln oder ob eine Umbenennung zu empfehlen ist" (www.charite.de/psychiatrie/forschung/Beddies_Bonhoeffer_Summary.pdf)

Passiert ist seit diesen hohlen Phrasen innerhalb eines Jahres nichts. Für den heutzutage auf Bonhoeffers Posten sitzenden Heinz scheinen diese Versprechen ebensowenig zu zählen wie diejenigen, die er in Bezug auf die Insassen seiner psychiatrischen Folterkammer, d.h. diejenigen, die in der geschlossenen Abteilung am "Bonhoeffer-Weg" sitzen, (gefesselt) liegen oder motorisch durch die Psychopharmaka beeinträchtigt auf und ab laufen, gemacht hat. Heinz hatte auf Anfrage erklärt, die Behandlung "nach dem vorliegenden Willen des Patienten oder seines Vorsorgebevollmächtigten zu gestalten, so weit dies gesetzlich zulässig ist" (siehe Huch! No.44, Juli 2004, Zeitung der studentischen Selbstverwaltung and der HU Berlin).
Tatsächlich wurde in der Zeit nach diesem Versprechen beispielsweise eine Patientin der Klinikum Charité in einem Gutachten rückwirkend für vier Jahre die Geschäftsfähigkeit entzogen und in der Geschlossenen zwangsweise untergebracht (www.psychiatrie-erfahrene.de/io12/stiefel.htm)

Nähere Informationen über (Anti-)Psychiatrie:
Werner-Fuß-Zentrum, Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin: www. psychiatrie-erfahrene.de und Tel. 030/ 2911001
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener: www.die-bpe.de
und über die Vorsorgevollmacht, mit der man sich vor Zwangseinweisungen schützen kann: Initiative Selbstbestimmung unter
www.vo-vo.de


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