Freedom of Thought

Geist gegen Gene (The Mind Challenges Genes)
The Russell Tribunal on Human Rights in Psychiatry

29.Juni – 1. Juli 2001, Berlin

Pressemitteilung

Zwei Fragen – Zwei Kongresse:

Die Würde des Embryos ist antastbar – verlieren die Menschenrechte ihre Gültigkeit zu Gunsten der Gentechnik?

Dürfen "Irre" denken? Das 5. Russell Tribunal verhandelt über reale Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie

Mit voranschreitender Kommerzialisierung der Biowissenschaften steigt die Gefahr, dass der Wert von Menschen an der Qualität ihres Erbguts gemessen wird: eine Aufwertung des "Gesunden" geht mit der Abwertung des "Kranken" einher. Menschliches Leben mit Gendefekten wird diskriminiert. Die zur Zeit in Deutschland heiß diskutierte Methode der Präimplantationsdiagnostik (PID) bereitet den Weg zu einer pränatalen Eugenik, deren Auslesekriterien weitgehend uneinsehbar sind. Sie folgen den neusten biologischen und medizinischen Erkenntnissen. Doch was soll mit den Erbanlagen passieren, die als nicht zukunftstauglich deklariert werden? Die potentielle Selektion maßgeschneiderter Nachkommen setzt vor allem Behinderte und psychiatrisch Stigmatisierte Diskriminierungen aus, weil der Anschein erweckt wird, sie trügen selbst die genetische Verantwortung ihres Andersseins in sich.

Prädispositionen für bestimmte Krankheiten sollen auf Dann-Chips bei allen Menschen gespeichert werden können. Welche psychosozialen Folgen ergeben sich daraus für den einzelnen? Was passiert mit diesem Wissen? Was bedeuten die neuen Erkenntnisse biogenetischer Techniken unter Ausblendung der Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Erbanlagen für die Bewertung geistiger Gesundheit, bzw. Normalität? Eine brisante Frage angesichts der Tatsache, dass politisch Verfolgte und Andersdenkende nach wie vor aufgrund fragwürdiger Diagnosen in der Psychiatrie sicherheitsverwahrt werden, wie es Beispiele in aller Welt belegen. Geist Gegen Gene diskutiert an zwei Tagen in vier Schwerpunkten die Hintergründe und sozialen Folgen, die das neue biologistische Denken mit sich bringt. Das Russell Tribunal verhandelt die realen Menschenrechtsverletzungen von Menschen in der Psychiatrie, die oft mit biologistischen Begründungen diskriminiert und ausgegrenzt all ihrer Menschenwürde beraubt wurden.

Ausgegrenzt – als nicht normal empfunden und vernichtet. Die Gentechnik liefert dem Genozid neue Argumente

Die Selektion von nicht als normgerecht empfundenen Leben hat in Deutschland eine verhängnisvolle Geschichte: Genozide werden stets mit geneologisch biologischer Minderwertigkeit begründet, wie es neuere Beispiele - wie Ruanda – zeigen. Eine globale wirtschaftliche und militärische Nutzung des "genetic engineering" wird bereits praktiziert. Die 1987 von der Unesco verfasste Deklaration, dass niemand wegen seiner geburtlichen Eigenschaften benachteiligt werden dürfe, und dass das menschliche Genom nicht dem kommerziellen Profit dienen darf, wird missachtet. Die Patentierung des menschlichen Erbgutes schreitet voran wie die Arbeit an chemischen und biologischen Kampfstoffen, die direkt im Erbgut aktiv werden. Die Erbgesundheitsfrage gewinnt in Hinblick auf einen genetischen Weltatlas an neuer Brisanz. Biopiraterie in den Entwicklungsländern ist ebenso zu befürchten wie es medizinische Versorgungsengpässe in den modernen Ländern sind, die durch den geschützten Besitz von Patenten verursacht werden. All diese Entwicklungen erfordern gesteigerten Diskussionsbedarf, den wir mit renommierten Wissenschaftlern der interessierten Öffentlichkeit präsentieren.

Russell Tribunal on Human Rights in Psychiatry

Enden die Menschenrechte in der Psychiatrie?

Die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte haben in den Gesetzgebungen vieler Länder dieser Erde ihren Niederschlag gefunden. Die westliche Welt rühmt sich der konsequenten Umsetzung der Erklärung und leitet daraus nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch das moralische Recht ab, die Umsetzung der Menschenrechte in nicht-demokratischen Ländern zu überwachen. Aber werden die westlichen Gemeinschaften den selbstauferlegten Ansprüchen und Maßstäben gerecht?

Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung in psychiatrische Kliniken einschließlich Fixierung, Elektroschock und Verabreichung von Psychopharmaka aufgrund der Diagnose psychischer Krankheit sind alltägliche Praxis. Einmal eingewiesen, durchleben die Betroffenen eine Odyssee ohne absehbares Ende. Diese Entrechtung und Stigmatisierung sogenannter psychisch Kranker stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar, wie sie in der UN Deklaration niedergeschrieben sind – das sagen Betroffene und Kritiker des psychiatrischen Systems. Vertreter der Psychiatrie begründen die Praxis der Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung als notwendig, da die psychisch Kranken vor sich selbst zu schützen seien bzw. die Gesellschaft vor ihnen.

Zur Einschätzung der Situation der Menschenrechte in der Psychiatrie bedarf es daher einer unabhängigen und umfassenden Untersuchung und Bewertung. Dazu soll das fünfte Internationale Russell Tribunal einen wesentlichen Beitrag leisten. Der historische Vorläufer dieser Form der öffentlichen Verhandlung war das Vietnam War Crimes Tribunal, das 1966 von dem britischen Philosophen Lord Bertrand Russell ins Leben gerufen wurde. Verhandelt wurden damals unter Beteiligung von Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Peter Weiss, u.a. die Gräuel des Vietnam-Krieges. Seit diesem ersten Tribunal haben drei weitere stattgefunden, unter anderem eines Anfang der achtziger Jahre zu den Berufsverboten in der BRD. Ausschließlich aus der moralischen Verantwortung und Verpflichtung der Teilnehmenden entstanden, Menschenrechtsverletzungen nicht gleichgültig hinzunehmen, erwiesen sich die Tribunale jeweils als eine wirksame Möglichkeit, staatlich legitimierte Gewalt, über der der Mantel des Schweigens hing, ins öffentliche Bewusstsein zu rufen.

Die Eröffnung des Tribunals wird am 30. Juni 2001 in Berlin stattfinden. Anschließend wird es nach New York gehen, um dann in Jerusalem seinen Abschluss zu finden. Sowohl in New York als auch in Jerusalem formieren sich derzeit Vorbereitungsbüros, die die Organisation übernehmen werden.

Das Tribunal wird in Berlin mit den Themenblöcken Geschichte der Psychiatrie, Gesetzgebung und Stigmatisierung, beginnen.

Als Jurymitglieder sind bisher ernannt:

Die Anklage wird von dem amerikanischen Rechtsprofessor George Alexander zusammen mit Prof. Thomas Szasz geleitet.

Geist Gegen Gene

Eine kritische Rezeption der neuen Technologien: ohne den Geist wären die Gene nichts

Verteilt über die zwei mittleren Veranstaltungstage sind vier Hauptvorträge mit Referenten unterschiedlicher Nationalität geplant, die die folgenden Themenschwerpunkte einleiten.

Daran schließt sich jeweils ein moderiertes Streitgespräch mit vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachbereichen (Natur- und Geisteswissenschaften) an.

Den Eröffnungsvortrag hält Prof. Dr. Gerburg Treusch Dieter:

Die Gene in unseren Köpfen. Zum Zusammenhang von Psychiatrie, Hirnforschung und Humangenetik

Zum Themenschwerpunkt Entschlüsselung des menschlichen Genoms und Patentierung von menschlichem Erbgut diskutieren:

Silvia Mathies (Filmemacherin, München)
Dr. Andreas Lösch (Soziologe, Universität Freiburg)
Uta Wagenmann (Gen Ethisches Netzwerk, Berlin)
N.N.
Moderation: Elke Heitmüller (Psychologin, Berlin)

Der renommierte Autor und Filmemacher Ernst Klee spricht zum Thema: Verständnis für Opfer, Verhöhnung der Täter. Ernst Klee hat zahlreiche Bücher zur Euthanasie im NS-Staat veröffentlicht. Seine Filme "Sichten und Vernichten" und "Die Hölle von Ueckermünde" haben für großes Aufsehen gesorgt.

Der Schwerpunkt Psychiatrisierung von politisch Verfolgten und Andersdenkenden nimmt die Rolle der Psychiatrie bei der Ausgrenzung sozial und politisch Unerwünschter aufs Korn.Es diskutieren:

Moderation: Prof. Dr. Ian Parker

Der Schwerpunkt Gentechnik als Waffe? gewinnt angesichts der neuesten politischen Wendungen zur Rechtfertigung von Biologischen Waffen an neuer Brisanz.

Die Patentierung des menschlichen Erbgutes schreitet voran wie die Arbeit an chemischen und biologischen Kampfstoffen, die direkt im Erbgut aktiv werden. Dr. Jean Poul Zanders (SIPRI Chemical and Biological Warfare Project) wird einleitend über den neusten Stand der Entwicklungen im Bereich Bio-Waffen informieren. Es diskutieren:

Moderation: Andreas Zurmach (Journalist, Genf)

Wir freuen und ganz besonders, dass Prof. Dr. Ivan Illich – einer der renommiertesten Medizinkritiker mit der Biologin Silja Samerski den Abschlussvortrag halten wird. " Das "Gen" als Emblem – Anmerkungen zur Freisetzung genetischer Begrifflichkeiten" haben sie ihn übertitelt.

Last not least geht es um Die Zukunft des Menschen.

Der Information- und Diskussionsbedarf wächst mit der temporeichen Entwicklung biotechnologischer Möglichkeiten. Reproduktionsmedizin, Präimplantationsdiagnostik und Gentechnik beeinflussen das Selbstverständnis des Menschen fundamental und schaffen eine sich schleichend durchsetzende anthropologische Norm. Die ethischen und sozialen Folgen der Biotechnologie mit all ihren juridischen Konsequenzen einer neuen Gesellschaftsordnung geraten ins Hintertreffen. Entsprechende Diskurse gelangen in der Regel als Begleitforschung zur Legitimation der neusten Technologien ins Licht der Öffentlichkeit. Welche Verschiebungen im Selbstverständnis des Menschen finden derzeit statt? Hier diskutieren:

Moderation: Ursel Fuchs (Journalistin, Düsseldorf)