Presseerklärung von Prof. Wolf-Dieter Narr, 15.6.2001:

Präsidium der FREIEN Universität verweigert dem Russell Tribunal zur Frage der Menschenrechte in der Psychiatrie und dem damit verbundenen Kongress "Freedom of Thought" die zugesagten Räume

Veritas justitia libertas - diese drei ehrwürdigen, selbstredend in klassischem Latein ausgedrückten hehren Ziele prunken, neuerdings in allen Briefköpfen eigens hervorgehoben, im Logo, also der Kennkarte, der FU Berlin (der Unterzeichnete gehörte derselben deswegen auch trotz allem Ärger und allen, vor allen neuerlichen Beschränkungen und hochschulpolitischen Verengungen seit guten 30ig Jahren mit Freuden an). Wahrheit Gerechtigkeit Freiheit - was für ein Anspruch! Dass demselben niemanden ganz genügen kann, versteht sich. Indes anstrebenswert wäre dies. Und zu wünschen, dass sich vor allem das Leitungsgremium der FU daran in schwieriger Annäherung hielte.

Stattdessen suchen diese Ziele wie Luftwurzel vergeblich im Gelände der FU, das von ihr selbst bestimmt wird, halt. Dieser Tage hat das Präsidialamt dem Russell Tribunal gegen psychiatrisches Unwesen und dem damit gekoppelten Kongress gegen den Un-"Geist der Gene" die für Ende Juni schon zugesagten Räume wieder entzogen. Ich hatte diese Räume im Dezember letztes Jahres rechtzeitig als Hochschullehrer der FU reservieren lassen. Und dies aus einem guten substantiell wissenschaftlichen und darum auch im weiteren Sinne menschenrechtlich demokratischen Grund. In Räumen, so der Ihnestrasse 22, die heute der FU gehören, seinerzeit der Kaiser-Wilhelms-Gesellschaft (KWG), waren während des Nationalsozialismus Mengele, Verschur u.a. forschend (!), praktizierend, Menschen verletztend, Menschen versuchend, ihre mörderische Praxis
w i s s e n s c h a f t l i c h begründend tätig. Selbst die Max-Planck-Gesellschaft, Nachfolgerin der KWG hat endlich, wenn auch allzu spät diese schlimme Praxis in ihren eigenen Reihen untersucht und schamvoll zugegeben- welch eine Chance, welch eine Aufgabe der Freien Universität, die sich dem oben genannten Wertedreigestirn besonders verpflichtet weiss, einen Kongreß wenn schon nicht nachdrücklich zu fördern, so doch uneingeschränkt zuzulassen, der den Umständen, der damaligen menschenwidrigen Wissenschaft, der auch dem heutigen und szientifisch zuweilen anders gewandeten Fort-, ja Neuleben im Zeichen der Bio- und Humangenetik nachgeht.

Vergebliche Hoffnung. Vergebliche Hoffnung wenigstens darauf, das Präsidium würde dem anderen lateinischen Motto genügen, Voraussetzung allen angemessenen Umgangs von Menschen, auch Wissenschaftlern untereinander: pacta sunt servanda, zu deutsch: Verträge sind einzuhalten. Mit vorgeschobenen, selbst formell nicht korrekten Behauptungen hat das Präsidialamt der FU die Raumzusage zurückgezogen. Dass ein nicht genau genug hinsehendes Verwaltungsgericht ihm erstinstanzlich "Recht" gegeben hat, ist ein schaler Sieg. Substantiell hat das Präsidialamt ebenso wohl gegen eine radikal nüchterne Aufarbeitung der wissenschaftlichen Vergangenheit, auch auf dem Gelände der späteren FU Berlin, wie eine radikal nüchterne, am menschenrechtlichen Massstab urteilenden Bewertung der aktuellen Wissenschaftsdynamik verstoßen; es hat auch repräsentiert durch meine Person Art. 5 Abs.3 GG verletzt, nämlich die Freiheit von Forschung und Lehre. Und diese beschränkt sich nicht auf Lehrveranstaltungen im engeren Sinne, solange die Verfassung des Grundgesetzes nicht verletzt. Das ist durch mich und wird durch mich ebenso wenig geschehen, wie durch das Russell Tribunal und die Veranstaltung Freedom of Thought. Verletzt hat verfassungsgegebene Normen, nämlich Voraussetzungen, Menschenrechte, nicht zuletzt das Recht auf Meinungsfreiheit und Freiheit der Forschung und Lehre allein das Präsidialamt der FU.

Um die Veranstaltungen und die von ihnen verfolgte menschenrechtliche Sache nicht zu gefährden, um eingeladene Jury-Mitglieder, Zeugen und Vortragende aus vielen Ländern nicht zu brüskieren, haben wir nun die Veranstaltungen in die Räume des URANIA-Haus verlegt. Dort werden die Veranstaltungen ab Samstag, den 30.Juni 10 Uhr stattfinden, inmitten der Wertetrias: veritas justitia libertas, ohne die selbstverschuldet ausgeschiedene, wertevergessene FU Berlin, genauer ihr Präsidialamt.